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Analogkäse

Ich bin ja ein Kind des digitalen Zeitalters. Ohne iPhone, Laptop oder Internet bin ich nur begrenzt lebensfähig. Selbes gilt für mich auch in der Fotografie. Ich würde jetzt gerne erzählen, wie ich an meinem achten Geburtstag mit feuchten Augen von meinem Urgroßhalbcousin eine alte Rolleiflex geschenkt bekommen habe, mit der ich fortan die Welt erkundete, um danach Stunden in der Dunkelkammer zu verbringen. Oder von dem Hochgefühl, als ich meinen ersten Abzug aus der Schale mit dem Entwickler zog….

Aber leider wird daraus nix. Meine erste eigene Kamera war eine digitale und eine schlechte noch dazu. Gut, könnte vielleicht auch daran gelegen haben, dass ich damals in den Hartlauer geschlurft bin und die freundliche Verkäuferin mit den Worten „Ich brauche eine Kamera“ völlig überfordert habe. Selbige versicherte mir dann, dass die Kamera, die sie mir vorgeschlagen hatte, deswegen gut sei, weil sie a) silber ist, b) „sechs Millionen Megapixel“ hat und c) ein schickes Täschchen gleich im verdächtig günstigen Preis inbegriffen war. Obwohl ich damals absolut keine Ahnung von Fotografie hatte, brauchte es nicht lange, bis ich zu dem Schluss kam, dass das Teil absoluter Schrott ist. War übrigens eine Nikon…

Etwas mehr Glück hatte ich dann knapp 1 1/2 Jahre später mit meiner zweiten Kamera, einer D40. Ab da machte mir das Fotografieren dann wirklich Spaß. Und Spaß macht die digitale Fotografie ja auch: man macht an einem netten Nachmittag 5000 Fotos, kaum zuhause kann man gleich alle auf den Computer werfen, sie toll und aufwendig bearbeiten, Minuten später auf Facebook und Co stellen und im Bedarfsfall mit dem hauseigenen Fotodrucker wieder ausspucken. Schöne digitale Welt. Da könnte man eigentlich rundum zufrieden und glücklich sein…oder?

Doch je länger und intensiver man sich mit der (digitalen) Fotografie beschäftigt, je tiefer man in die Materie als solche eintaucht, desto mehr beschleicht einen ein leises Gefühl des Neids auf diese merkwürdige Gruppe von Fotografen mit ihren zweiäugigen Rolleis, ihren Lochkameras, Lomos, Holgas, Kievs, Bronicas und all den anderen teils unhandlichen, teils anachronistisch anmutenden, exotischen Aparaten. Aber Neid worauf? Darauf den eingelegten Film ungeachtet der dezeitigen Lichtsituation fertig knipsen zu müssen? Darauf nur 15 Aufnahmen auf einen 120er Rollfilm zu bringen? Darauf tagelang auf die ausgearbeiteten Negative warten zu müssen? Oder vielleicht darauf für Abzüge einen stolzen Preis hinblättern zu müssen? Ja genau: klingt ziemlich absurd. Aber macht andererseits auch wieder überraschend viel Sinn für mich.

Wahrscheinlich ist es ein bisschen so wie Oldtimer zu fahren. Es gibt heutzutage massig schöne Autos, die nochdazu mit allen technischen Finessen ausgestattet sind, um einen das Fahren so angenehm wie möglich zu machen, aber trotzdem wird ein 78er Ford Mustang in den nächsten 100 Jahren wohl nichts an Faszination einbüßen.

mamiya645E

All das oben genannte hat mich dazu bewogen, mir kurz vor Weihnachten eine Mamiya 645E zu leisten, eine analoge Mittelformatkamera. Wenn schon analog, dann Mittelformat. Und ich gebe es gleich unverblümt zu: es ist eine Hassliebe. Im Moment fallen meine analogen Aufnahmen noch eher in die Kategorie „Trial & Error“. Ernüchtert musste ich einerseits feststellen, dass Film doch erheblich andere Belichtungseigenschaften als ein digitaler Bildsensor besitzt. Andererseits ist es erschreckend, wie oft ich aufgrund des größeren Abbildungsmediums (120er Rollfilm) und der daraus resultierenden geringeren Schärfeebene mit dem Fokus daneben lag. Blende 2,8 mag bei Crop und Kleinbild Kindergeburtstag sein, am Mittelformat trennt sich hier die Spreu vom Weizen. Da ist nix mit Husch Pfusch, wenn man nicht beim Abholen der Abzüge beim Fotofachhändler weinend zusammenbrechen will, weil die Charakterportraits in S/W alle unscharf sind.

Und trotzdem! Es macht einfach Spaß mit diesem Kübel durch die Gegend zu ziehen, sich jedes Foto zweimal überlegen zu müssen und vorallem (für einen Kontrollfreak wie mich) einfach ein bisschen des Einflusses auf den Bildentstehungsprozess aus der Hand zu geben. Und nicht zuletzt die Blicke der digitalen Kollegen, voll des Neides auf dieses exotische Ding in meiner Hand, runden die ganze Sache ab.

Werde ich der digitalen Fotografie jetzt völlig entsagen? Nein. Ich liebe meine D700 heiß und sobald das entsprechende Gesetz erlassen ist, werde ich sie heiraten, aber zumindest konnte ich diese analoge Lücke in meiner fotografischen Seele füllen. Ein bisschen extra Analogkäse auf der digitalen Pizza sozusagen.

Die Farbfotos wurden auf einem Kodak Portra 160 VC, die schwarzweißen auf einem Ilford FP4 belichtet.

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