Die Underdogs aus der Drogerie
Nachdem es vor gut einem Monat mein neuer alter Filmscanner über den großen Teich zu mir geschafft hat, erlebt der klassische 35mm Kleinbildfilm bei mir gerade eine Renaissance. War ich früher kurz vorm Verzweifeln, weil mein Flachbettscanner nur matschige Bilder mit das bekannte Spektrum sprengenden Farbstichen ausspuckte, liefert der Pakon, dieses Relikt aus digitaler Urzeit, ausschließlich wunderbare Scans, die jedes Fotolabor in Wien alt aussehen lassen. Verständlich, dass sich meine analogen Kleinbild-Kameras seitdem im Dauerbetrieb befinden und einige Meter Film für einen Augenblick das Licht der Welt erblicken durften. Meistens nur 1/1000 Sekunde, aber immerhin 😉
Jetzt ist es aber so, dass trotz aller Nostalgie und neugewonnenem Sexappeal von analogem Material der ehemals globale zu einem Nischenmarkt geworden ist, was sich vorallem in den Preisen niederschlägt. Für eine Rolle professionellen Kleinbildfilms legt man schon mal um die 10€ hin und da sind Entwicklung, Abzüge oder Scans noch nicht eingerechnet. Besonders während der ersten Schritte auf analogem Terrain kann es durchaus mal vorkommen, dass man mehr als unzufriedenstellende Ergebnisse produziert. Wenn der verhunzte Film dann vielleicht noch ein Fuji Velvia mit einem Straßenpreis von 18€ war, tut das nicht nur in der Brieftasche weh. Schwierige Ausgangssituation. Früher wars einfacher – da kaufte man einfach einen billigen Film in der Drogerie. Geht ja jetzt nicht mehr…oder?
Der Gedanke kam mir, als ich eines Abends ein paar alte Rollen aus dem Schuhkarton scannte. Familienbilder, Urlaub in Italien, Babyfotos, das übliche. Zu meiner Verwunderung sahen die Scans gar nicht so schlecht aus. Vielleicht schon ein bisschen ausgebleicht und grob, aber irgendwie hübsch. Wäre doch mal einen Versuch wert. Zumal sich auch die Billigfilme seit damals sicher technisch weiterentwickelt haben. Am nächsten Tag marschierte ich in eine Drogerie und siehe da: zwischen kitschigen Bilderrahmen und AA-Batterien lagen völlig vernachlässigt tatsächlich einige Rollen Film. Agfa Vista um genau zu sein. Beim Müller um noch genauer zu sein. Aber taugte der etwas? Ich kaufte zwei Rollen und setzte mich daheim vor den Laptop. Meine Recherche brachte nicht viel zu Tage. Eine Flickr-Gruppe, ein paar schlechte Scans und eine handvoll zweizeilige Kommentare. Auch bei den anderen Billigfilmen das selbe Bild. Ok, die Fotografen, die ernsthaft noch auf analogem Material fotografieren, greifen zu den Profi-Filmen, zu denen es Bewertungen wie Sand am Meer gibt. Die Stiefkinder aus der Drogerie bleiben wiedermal über. Und da wurde es mir schlagartig klar: es war nun an mir, all diesen verlachten und verachteten Underdogs eine Stimme und eine Plattform zu verleihen. Und so wie Prometheus einst den Menschen das Feuer brachte, wurde den Bloggern ebenfalls ein göttliches Geschenk zuteil, das sie fortan als heiliges Symbol ihrer Daseinsberechtigung einsetzen sollten: die Review.
Was nun also folgt, ist eine äußerst subjektive und unwissenschaftliche Bewertung einiger Filme, die ich in den letzten Wochen verschossen habe. Alle von einem renommierten wiener Labor entwickelt und von mir selbst gescannt. Und bevor jetzt jemand die Google-Maschine anwirft, mach ich mir noch kurz die Mühe und erkläre einige Unterschiede zwischen Drogerie- und Profi-Filmen.
Auflösung/Schärfe: Kodak, Fuji und Konsorten haben jahrzehntelang viel Zeit, Geld und Hirnschmalz in die Entwicklung ihrer Filmemulsionen gesteckt. Auch um mit der Entwicklung der Kameraobjektive mitzuhalten. Letztere sind teilweise zu optischen Meisterleistungen in der Lage – da braucht es auch ein Aufnahmemedium, das diese Vielzahl an Details aufnehmen und adäquat abbilden kann. Heute sind das hochentwickelte Kamerasensoren, damals waren es hochentwickelte Filme. Man wird mit einem Drogerie-Film niemals den Detailreichtum eines professionellen Films erreichen. Egal wie scharf die Linse ist, die man sich vor die Kamera schnallt. Allerdings macht Schärfe allein noch kein gutes Foto aus. Fragt mal die lomographische Gesellschaft.
Farbtreue: Bevor die analoge Fotografie fast ausschließlich vom künstlerischen Sektor in Beschlag genommen wurde, ging es bei Berufsfotografen, genau so wie heute, eigentlich nur ums nackte Überleben. Aller künstlerischer Schnick Schnack beiseite: die Suppenschüssel sollte auf der Verpackung bitte genau so aussehen wie in der Wirklichkeit (wenn nicht noch besser) und der Vorstandsvorsitzende sollte idealerweise keinen krebsroten Schädel haben. Dafür wurden Profi-Filme entwickelt: um unter bestimmten (Licht-)Bedingungen immer konstante Ergebnisse zu liefern. Ohne wenn und aber. Weiters gab und gibt es für unterschiedliche Anwendungsfälle spezialisierte Filme. Während man eine schöne Landschaft gerne kontrastreich und farbintensiv abbildet, geht es bei Portraits vorallem um die akkurate Wiedergabe von Hauttönen. Für alles gibt es einen entsprechenden Filmtyp. Billig-Filme sind meistens als Allrounder ausgelegt. Sie können alles ein bisschen, aber nichts wirklich hervorragend.
Filmkorn: Hat nix mit Getreide zu tun, dafür aber entfernt mit Edelmetallen. Unter dem Korn eines Films versteht man die Zusammenballungen von kleinsten Silberpartikeln bei einem entwickelten Film. Heutzutage wird es gerne mit dem Bildrauschen eines Kamerasensors verglichen. Beim Sensor könnte man es vereinfacht als Störgeräusch bezeichnen, das auftritt, wenn man ein Signal verstärkt. Wenn also der Sensor mit wenig Licht (im Dunkeln) ein Bild produzieren soll. Ähnlich haben hochempfindliche Filme, die mit möglichst wenig Licht ein Bild produzieren sollen tendenziell ein gröberes und sichtbareres Filmkorn. Professionelle Filme haben aber selbst bei höheren Empfindlichkeiten ein äußerst dezentes Korn, während selbiges bei Billigfilmen mitunter schon bei niedrigen Empfindlichkeiten stark vertreten sein kann.
Kontrast: Billig-Filme haben generell einen wesentlich höheren Kontrast als Profi-Filme. Das resultiert vermutlich aus der schlechteren Abstufung der einzelnen Helligkeits- und Tonwerte.
Ich habe mir für den Test 6 verschiedene Filme ausgesucht, die noch relativ problemlos in Drogerien oä. zu bekommen sind. Alle sind dann innerhalb einiger Tage nacheinander durch meine Nikon F80 gelaufen. Fotografiert hab ich alles und jeden, der mir in dieser Zeit vor die Linse gelaufen ist. Keine Testcharts und auch keine Textseiten. Ich habe jetzt nicht ein und dieselbe Szene sechs mal mit verschiedenen Filmen fotografiert. Man kann also nicht wirklich von standardisierten Testbedingungen sprechen. Die Scans wurden von mir im Hinblick auf Helligkeit, Kontrast und Weißabgleich optimiert. Die Farbregler habe ich nach Möglichkeit in Ruhe gelassen, um die Charakteristik des Films zu erhalten. Wie eingangs erwähnt, ist das hier rein subjektiv. Aber zumindest hat man mal alle sechs Filme Seite an Seite.
Agfa Vista Plus 200
Wir starten gleich mit einer Mogelpackung. Während auf der Verpackung der traditionsreiche Name „AGFA“ prangt, verbirgt sich hinter dem Film eine völlig andere Firma, die Agfa vor geraumer Zeit die Namensrechte für Kleinbildfilm abgekauft hat. Was dazu führt, dass es vermutlich mehr Theorien über die Herkunft des Vista gibt, als über die von Jon Snow. Viele sind sich einig, dass hier einfach ein paar ausrangierte Fuji-Emulsionen im Spiel sind, aber genaues weiß man nicht. Nichtsdestotrotz hinterlässt der Vista 200 einen gefälligen Eindruck. Ausgeprägte Rot- und Orangetöne fügen sich in eine generell recht kräftige aber ausgewogene Farbpalette mit knackigem Grün ein. Schärfe und Feinheit rangieren für mich irgendwo im Mittelfeld. Mit etwa 2,80€ ist der Vista 200 auch ein echtes Schnäppchen und findet sich üblicherweise bei der Drogeriekette Müller im Regal.
Agfa Vista Plus 400
Die 400 ISO Version aus dem Hause „Agfa“. Etwas gedecktere Farben und die Blautöne verschieben sich eher Richtung Cyan. Der Film wirkt auch ein wenig kühler als der Vista 200 und ist aufgrund der höheren Empfindlichkeit etwas grobkörniger. Die Farbpalette ist ähnlich angelegt. Alles in allem ein ansehnlicher Film.
Fuji Superia 200
Die Superia Familie von Fuji ist qualitativ doch eine Stufe über dem Agfa Vista angesiedelt. Das macht allein schon dann Sinn, wenn die Legende stimmt, dass der Vista eine alte Fuji Emulsion ist. Fujifilme sind vorallem für ihre kühle Farbgebung bekannt und beliebt – da ist der Superia keine Ausnahme – sowie für die berühmten satten Grüntöne. Was die Feinkörnigkeit und den Detailreichtum angeht, gibt sich der Superia ebenfalls keine Blöße. Die Farbpalette zieht eher nach Grün und Magenta und ist nicht ganz so stark ausgeprägt wie beim Agfa Vista.
Fuji Superia 400
Ein wirklich hübscher Film mit akkurater Farbwiedergabe und guter Schärfe. Farblich sehr nah am Superia 200 – was gut ist.
Kodak Gold 200
Der Kodak Gold ist ein altgedienter Urlaubsfilm, der schon so manchen Tag an der Adria in goldgelbes (*zwinker, zwinker*) Licht tauchte. Die aktuelle Emulsion stammt jedoch aus dem Jahre 2007 und bringt alle Vorteile eines modernen Films mit sich. Kodak ist bekannt dafür, seine Filme eher im gelblichen Spektrum anzusiedeln, was sich einerseits mit dem Italien-Urlaub gut verträgt und andererseits mit westlichen Hauttönen. (Der Legende nach hat Fuji seit jeher seine Filme auf asiatische Hauttöne hin optimiert.) Die Farben wirken generell etwas verhaltener als beim Vista oder beim Superia, dafür bietet der Film sich aber dank seiner guten Wiedergabe von Hauttönen für Portraits an.
Kodak Color Plus
Als letzten Starter schicke ich für Team Kodak noch einen alten Hasen ins Rennen. Der Film wurde vielleicht einmal unter einem anderen Namen von Kodak vertrieben und darf jetzt scheinbar seine letzten Tage als „Color Plus“ fristen. Ein leichtes Plus an Color kann man ihm eventuell zum Kodak Gold hin attestieren, die Farbpalette darf man dann aber getrost als „Vintage“ bezeichnen. Der Film tut sich generell etwas schwer mit feineren Tonwertabstufungen und feineres Korn hat man vermutlich auch schon mal gesehen. Mit einem Preis von gerade mal 2,50€ ist der Color Plus aber sicher der Feuchttraum jedes Schnäppchenjägers.
Fazit
Bevor ich jetzt meine(n) Favoriten herauspicke, noch ein paar allgemeine Gedanken. Von den verwendeten Filmen ist für mich überraschenderweise keiner wirklich durchgefallen. Ich hätte mir von den billigeren Vertretern (Vista, Color Plus) wesentlich schlechtere Ergebnisse erwartet, aber anscheinend kann man mit einem vernünftigen Scanner, adäquater Software, etwas Fingerspitzengefühl in der Nachbearbeitung und nicht zuletzt guter Belichtung in der Kamera mit so ziemlich jedem derzeit erhältlichen Film ansprechende Ergebnisse erzielen. Bei der Digitalisierung von analogem Material gibt es zwangsläufig viele Variablen. Unterschiedliche Scanner liefern unterschiedliche Ergebnisse mit unterschiedlichen Softwares usw usw. Ich habe von Profi-Filmen leider schon schlechtere Scans als von Billig-Filmen gesehen. Wenn man wirklich gute Filmscans haben möchte, sollte man entweder in entsprechende Hard- & Software investieren und vorallem lernen selbige zu bedienen oder man sucht sich ein gutes Filmlabor. Bitte nicht den Fotodiskonter am Eck. Qualitativ liegen da teilweise Welten zwischen den Ergebnissen.
So, aber jetzt zu den Filmen. Wirklich überrascht haben mich die zwei Agfas. Ich mag die Farbpalette, die sie liefern – ausrangierter Fuji hin oder her. Für mich hat der Film viel „Seele“. Die Superias bieten qualitativ wirklich ordentlich was – tolle Details und Farbtreue – wären mir für einen Urlaub im Süden vielleicht aber eine Spur zu kühl. In den Wäldern Norwegens könnte ich mir ihn aber sehr gut vorstellen. Den Kodak Gold würde ich in erster Linie vielleicht im städtischen Umfeld sehen oder wirklich für Portraits. Als Wald- und Wiesen-Film ist er mir etwas zu farbarm. Der Color Plus, der während meiner Recherche vielerorts als „schlechtester Film aller Zeiten“ bezeichnet wurde, verdient dieses vernichtende Urteil sicher nicht. Vermutlich wäre er aber auch nicht meine erste Wahl.
Ein wirklich abschließendes Urteil kann ich mir nach jeweils einer Rolle noch nicht wirklich bilden, aber es zeichnen sich für mich schon Favoriten ab. Derzeit etwa ex eaquo der Agfa Vista 200 und die beiden Fujis. Allerdings ist noch eine Packung Kodak Ultramax 400 per Post zu mir unterwegs. Also mal abwarten.
3 Comments
Chris Corrado
vielen dank für diesen ausgesprochen detaillierten vergleich. momentan suche ich den film mit der höchsten sättigung für meine lo-fi cams (der günstig im feld-/wald-/wiesenhandel erhältlich ist). und dieser artikel hat mir definitiv weiter geholfen.
Ruediger Pauli
Ich teile den Kommentar und habe ähnliche Erfahrungen gemacht. Mit Fuji und kühl. Ich weiss nicht. Ständiges Wiederholen macht es nicht wahrer.
Eine Erfahrung: Nach Möglichkeit keine schnellere Belichtungszeit als 1/250 nehmen. Das trägt dazu bei, dass die Farben etwas satter wirken, so meine Erfahrung.
Willi
Habe vor kurzem eine Nikon F75
erworben da ich das analoge
Feeling welches ich in den 80/90er
Jahren mit meiner Nikon F301 hatte,
im digitalen Zeitalter mit
Pixelwahn “ wieder erleben wollte.
Eine Wohltat für Auge und Seele;
zumal viele Digicam Nutzer ihre Fotos
leider mit Photoshop & Co fast bis zur
Unkenntlichkeit bearbeiten. Ich bin
kein begnadeter Fotograf, aber ich
mag pure Fotos mit natürlichen
Farben; egal ob Analog oder Digital.
Und ich stehe zu meiner
Fotografischen Unperfektion.
Den Kodak Gold mochte ich schon
Damals wegen seiner angenehmen
Farbneutralität und Schärfe.
Ich benutze an meinen Kameras
keine Art von Filtern ; denn eben
das will ich ja nicht.. der Name
FILTER sagt es ja !
Gruß Willi