Analog

Von guten Vorsätzen und schlechtem Timing

Ich spürte den durchdringenden Blick der Schwedin in meinem Nacken. Er traf mich glühend heiß wie ein gebündelter Lichtstrahl. Sie sagte nichts – schwieg eisig. Wir beide wussten, dass es müßig war in Worte zu fassen, was seit geraumer Zeit wie eine dunkle Wolke über unserer Beziehung hing. Als ich sie anno 2013 in einem kleinen Fotoladen an der Haight Street in San Francisco kennengelernt hatte, konnte ich gar nicht anders, als sie aus ihrer Untätigkeit zu erlösen, ins ferne Europa zu entführen und ihr ein besseres Leben zu versprechen. Ich wollte mit ihr die Welt bereisen, sie jeden Tag fein ausführen, ihrem Dasein einen Sinn geben. Der Alltag holte uns jedoch bald ein. Hatte ich anfangs alles an ihr noch exotisch und geheimnisvoll gefunden, erschien sie mir bald nur noch träge und sperrig. Ihr Gewicht hatte mich zuvor nicht gestört, doch diese schlanken jungen Dinger, die in der letzten Zeit so frech von den Titelseiten lachten, begannen mir zunehmend den Kopf zu verdrehen. Wir verbrachten immer seltener zusammen Zeit, gingen kaum noch aus. Das Feuer zwischen uns war erloschen. Wir trennten uns nicht wirklich, teilten uns weiterhin eine Wohnung. Aber unsere anfängliche, zügellose Lust war einer tiefen Gleichgültigkeit gewichen. „Du siehst mich kaum noch an“, schien sie mit tränenerstickter Stimme zu sagen, während ich mich nicht einmal zu ihr umdrehte. „Es hat halt nicht sollen sein“, dachte ich mir und verließ das Zimmer. Sie blieb apathisch zurück –  im Regal, wo ich sie vor Monaten abgestellt hatte. Und das letzte Licht des Tages spiegelte sich fahl in ihrem Objektiv.

 

Manche Beziehungen brauchen eine zweite Chance. Vielleicht war ich noch nicht so weit, als ich mir damals meinen lang gehegten Traum, eine Hasselblad 500c/m, erfüllte. Kein Prismensucher, nur ein Lichtschacht – fand ich zu anfangs wahnsinnig sexy, stellte sich aber bald als ziemlich unpraktisch heraus. Das spiegelverkehrte Sucherbild ist auf Dauer nichts für schwache Mägen und für Portraits, bei denen man grundsätzlich auf Augenhöhe sein sollte, trägt der gewissenhafte Fotograf besser eine Bierkiste mit sich herum. Zum Draufstellen wohlgemerkt. Ein Belichtungsmesser ist in der Grundausstattung der Schwedenbombe auch ein frommer aber unerfüllter Wunsch und zu guter Letzt macht einem das 80mm-Standardobjektiv aufgrund seiner Naheinstellgrenze bei formatfüllenden Portraits auch noch mal einen Strich durch die Rechnung. Achja, das Gewicht wäre auch noch so ein Thema. Für Studiofotografen nicht wirklich der Rede wert, aber für mich und meine Art zu fotografieren doch nicht so unerheblich. Wir hatten also keinen guten Start und die Hasselblad landete nach einer Anfangsliebelei im Regal und mich plagte fortan das schlechte Gewissen.

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Anfang des Jahres entschied ich mich jetzt einen neuen Anlauf zu wagen und merzte analytisch die eben erwähnten Probleme aus. Die Schwedin bekam einen Prismensucher mit Belichtungsmesser(!), sowie ein todschickes mattschwarzes 150mm Portrait-Tele. Als ich die neuen Komponenten dann euphorisch zusammenschraubte, fiel mir plötzlich ein lange vergangener, alkoholumnebelter Abend ein. Mein Freund Robert schleppte damals in einem Anfall von Ichbinfotograf sein Bronica-Mittelformat-Schlachtschiff auf eine Party mit, montierte ein Polaroidrückteil auf besagte Kamera und verteilte anschließend unter tosendem Applaus der Partygäste kleine Sofortbildchen. Mich fraß der Neid. Jahre später hatte (und habe ich noch immer) viel Freude mit den Instax Kameras von Fuji. Der nächste logische Schritt zeichnete sich plötzlich messerscharf vor meinem geistigen Auge ab. Wenig später, nach Prismensucher und Objektiv durfte sich die Hasselblad also noch über ein Polaroidrückteil freuen. Mein Enthusiasmus kannte jetzt keine Grenzen mehr und tatsächlich setzte ich vieles von dem um, was ich mir in der Vergangenheit mit der Hassie vorgenommen hatte. Zum Beispiel meinen Freundeskreis ganz ungezwungen zu portraitieren. Die Sofortbilder machten irre viel Spaß und landeten erst im Scanner und dann gleich an meiner Pinnwand. Das Leben ist schön.

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An dieser Stelle wird der geneigte Analogfotograf bereits die Stirn runzeln. Polaroids? Die gibts doch schon seit Jahren nicht mehr und das Impossible Project stellt für dieses Format keinen Film her. Stimmt natürlich, doch die fleißigen Leute bei Fuji stellten Filme für besagte Rückteile her und versorgten glückliche Hipster weltweit mit Instantfilm. Stellten. Mitvergangenheit. Hier wird die Anekdote nämlich plötzlich zur griechischen Tragödie. Fuji stellte nach dem Rückzug von Polaroid vom Sofortbildmarkt drei Instantfilme her. Der FP-100b, ein Schwarzweißfilm mit 100 ISO war das erste Opfer der Produktpolitik. 2011 wurde die Produktion eingestellt. Blieben noch sein höherempfindlicher Zwilling, der FP-3000b, sowie der bunte Cousin FP-100c. Als 2012 die Produktion des zweiten Schwarzweißen eingestampft wurde, gab es zwar einen Aufschrei unter den Filmfotografen, man schielte aber einigermaßen beruhigt auf den FP-100c, der fest im Sattel saß und nun zum einzigen Freund von alten Polaroid-100 Rückteilen wurde. Alles gut, nix is g’schehn.

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Letzte Woche schlug die Meldung dann wie eine Bombe ein: Fuji würde mit sofortiger Wirkung die Produktion des letzten verbleibenden Trennbild-Sofortfilms einstellen. Keine Sofortbilder mehr aus der Hasselblad. Nie mehr. Das hatte gesessen. Gerade als ich eine neue Leidenschaft für mich entdeckt habe, schlägt die Keule des Schicksals unerbittlich zu. Wiedermal verschwindet ein bisschen Magie aus der Welt. Widerstand formiert sich zwar in Form einer Petition, die bereits über 10.000 Unterschriften zählt, ob Fuji deshalb aber einknickt bleibt zu bezweifeln, zumal das Unternehmen laut eigener Aussage „die Zukunft der Sofortbildfotografie in der Instax-Produktlinie“ sieht. Also bleibt vorerst wieder einmal nichts anderes übrig als fleißig Restbestände zu überhöhten Preisen zu bunkern und zu hoffen, dass sich in Zeiten von Kickstarter-Kampagnen eventuell etwas an dieser Front tut. Ich denke aber, dass die Hasselblad und ich diese Krise überstehen werden. Unsere Beziehung ist reifer und tiefgehender geworden. Wir haben gelernt mit unseren Schwächen umzugehen und unsere Stärken zu schätzen. Wir werden in Zukunft viele Farbnegativ- und Schwarzweißfilme belichten und – wer weiß – vielleicht irgendwann sogar wieder Instantfilm.

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