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Israel – Teil 2

Das heilige Land

 

Um 6 Uhr früh weckt mich der Glockenturm-Weckerton meines iPhones mehr oder weniger sanft aus meinen Träumen. Die israelische Sonne schiebt auch schon Frühschicht. In Wien hätte ich zu dieser Tageszeit auch gleich die Taschenlampenfunktion meines Handys gebraucht. Das Frühstück fällt wie gehabt recht orientalisch aus: Hummus, Pitabrote, Oliven und Konsorten. Ich streiche verstohlen Marmelade auf mein Weißbrot. Selbiges hinunterzuschlucken schaffe ich fast nicht mehr, denn der Kleinbus, der uns heute nach Jerusalem bringen soll, fährt bereits vor dem Haus vor. Beim Einsteigen werden wir von Phyllis, unserer Fremdenführerin, begrüßt, die gleich zur Eile mahnt, wenn wir nicht dem Berufsverkehr zum Opfer fallen wollen. Ein frommer Wunsch, denn mit insgesamt 13 Leuten und 2 Säuglingen ist unsere Reisegruppe relativ behäbig in der Fortbewegung. Es kommt, wie es kommen muss und wir stecken auf der Autobahn nach Jerusalem im Stau. Das gibt Phyllis zumindest die Gelegenheit uns in puncto 3000 Jahre israelisch-jüdischer Geschichte auf den neuesten Stand zu bringen. Nach einer Stunde wissen wir: Die Philister, die Ägypter, die Römer, die Nazis – irgendwie wollen immer alle den Juden an den Kragen.

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„We don’t live in a friendly neighbourhood“, scherzt Phyllis. Sie kam vor 12 Jahren aus New York nach Israel. Eine Reise, die sie selbst als spirituell bezeichnet. Man fährt nicht „nach“ Israel, man fährt „hinauf“. Dementsprechend begeistert äußert sich Phyllis auch über alles, was im Zusammenhang mit dem jüdischen Israel steht. Die Moslems kommen denkbar schlecht davon. Und tatsächlich scheint es so, als hätten wir die heile Welt im Garten der Hetzronis verlassen. Wir passieren militärische Checkpoints, an denen junge Burschen und Mädchen mit halbautomatischen Waffen stehen. Die Armee und der damit verbundene verpflichtende Wehrdienst – für Männer drei, für Frauen zwei Jahre – sind ein Teil der Identität der Israelis und eine unübersehbare Konstante im Gesamtbild des Landes. Mir wurde davon abgeraten militärische Einrichtungen zu fotografieren, also lasse ich es.

 

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Nach einer kleinen Ewigkeit im Kolonnenverkehr erreichen wir Jerusalem, das sich auf 900m Seehöhe imposant über mehrere Hügel erstreckt. Es liegt an der Grenze zum Westjordanland, einem der palästinensischen Autonomiegebiete. Hier drängen sich auf engstem Raum Kirchen, Moscheen und Synagogen, arabische Märkte und westliche Shoppingmalls. Die heiligsten Stätten von drei Weltreligionen reihen sich hier aneinander und machen die Stadt zu einem Schmelztiegel der Kulturen. Doch von einer großen Chance der Völkerverständigung zu sprechen, wäre wohl allzu optimistisch. Jerusalem ist eine Stadt, die eigentlich allen Religionen gehören könnte, aber man wird das Gefühl nicht los, dass sie eigentlich niemandem gehört. Auch weil niemand sie wirklich teilen will.

 

Etwas zu sehr möchte Phyllis die Kultur der Stadt mit uns teilen. Das Programm, das sie zusammengestellt hat, wäre sogar für einen fünftägigen Besuch noch recht ehrgeizig. Mit strenger Hand hetzt sie uns durch die Gassen der Altstadt. Für meine fotografischen Ambitionen hat sie weder Zeit noch Verständnis. Bleibe ich dann einmal doch kurz stehen, um ein Foto zu machen, werde ich umgehend gemaßregelt. Ein scharfes „Äääälex!“ und wildes Gefuchtel der kleinen rothaarigen Frau sollen mir zu verstehen geben, dass wir gefälligst nach ihrer Pfeife zu tanzen haben. Frust und Resignation machen sich bei mir breit. Kein Kaffee in den Seitengassen, kein Bummel durch den Basar, keine Fotos von den Einheimischen. Als kleines Zugeständnis werden wir von Phyllis in einen Trödelladen in der Altstadt gedrängt. Meinen verständnislosen Blick kann sie eben so wenig einordnen, wie die Tatsache, dass ich keine kitschige Devotionalie kaufen will. Zumindest unsere chinesischen Mitreisenden werden fündig.

Auf unserer ToDo-Liste stehen eine flotte Runde auf der alten Stadtmauer, ein Abstecher zur Klagemauer, sowie eine Tour durch deren Fundamente. Letzteres kürzen wir ab, nachdem einige unserer Mitreisenden über akute Platzangst klagen. Phyllis ist sauer, ich schadenfroh.

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Als recht interessant entpuppt sich ein Besuch der „König Herodes“-Ausstellung im israelischen Nationalmuseum. Da Alon die 3D-Animationen in den Info-Filmchen erstellt hat, bekommen wir eine Tour mit dem Kurator höchstpersönlich, der uns sehr launig und kurzweilig die Person Herodes näherbringt.

 

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 Zum Abschluss geht es nochmal zurück in die Altstadt zur Grabeskirche, die auf dem Felsen Golgotha erbaut wurde, auf dem Jesus gekreuzigt wurde. Das Grabmal des Herren aus Nazareth interessiert mich dann aber weniger als die Anekdote, dass sich sämtliche christliche Konfessionen, die diese Kirche benutzen dermaßen zerkracht haben, dass man irgendwann den Beschluss fasste, niemand dürfe mehr etwas an der Kirche verändern. Vermutlich damit keine Konfession der anderen mit dem Verrücken einer Heiligenstatue eins auswischen kann. Sogar eine Leiter, die am Tag des Beschlusses an der Kirchenfassade lehnte, fristet seit dem ein ereignisloses Dasein an ebendiesem Platz.

Zu meiner Belustigung mischt sich dann doch irgendwie Ernüchterung. Wenn schon die einzelnen Strömungen ein und der selben Religion nicht miteinander auskommen, wie sollen es dann verschiedene Religionen untereinander? Anscheinend liegt es in der Natur von uns Menschen, immer nur das zu sehen, was uns voneinander unterscheidet, und dass wir regelrecht blind im Bezug auf unsere unzähligen Gemeinsamkeiten sind.

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Es ist schon dunkel, als wir mit dem Bus wieder zurück nach Moshav Herut, zum Haus der Hetzronis fahren und dank Phyllis Monstertour bin ich hundemüde und habe für meinen Geschmack viel zu wenig Fotos gemacht. Für morgen nehme ich mir mehr zivilen Ungehorsam gegen ihr strenges Regiment vor. Das tote Meer wartet. Und die Wüste. Und beinahe ein blaues Auge.

 

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