Analog,  Thema

Ein Lebewohl und ein Hallo

Als Kodak heute seine Pressemitteilung rausschickte, muss vielen Hipstern wohl vor Schreck das Monokel in den Soja-Latte gefallen sein. Aber auch ernsthafte Film-Fotografen werden die Hände über den Kopf zusammengeschlagen haben, denn eine fixe Größe aus der analogen Zeit wird bald von der Bildfläche verschwunden sein. Aber wer war diese graue Eminenz unter den bunten Negativfilmen eigentlich? Hinter dem etwas sperrigen Namen BW400CN, verbirgt sich ein chromogener Schwarzweißfilm, also ein Film, der mit Chemikalien entwickelt wird, die eigentlich sonst bei Farbfilmen zum Einsatz kommen. Das hat den Vorteil, dass man den Film bei jedem x-beliebigen Labor entwickeln lassen kann – nicht, dass man das tun sollte. „Richtige“ Schwarzweißfilme werden mit einem anderen chemischen Verfahren entwickelt, zu dessen Anwendung die Filme meist ins Großlabor verschickt werden, sollte man sich nicht ohnehin in der Küchenspüle selbst um die Entwicklung kümmern.Die mittlere Empfindlichkeit von 400 ISO machte den Film zu einem Allrounder, der schon mal die eine oder andere Fehlbelichtung verzieh, weswegen er auch brav die Regale von heimischen Supermarktketten hüten durfte. Quasi als Lockvogel für die Schwarzweiß-Fotografie. Trotzdem wurde er oft und gerne von Profis und ambitionierten Hobbyisten verwendet.

Kodak-BW400CN

Meine konstante Verwendung des Praeteritums verrät nun eigentlich schon den Ausgang der griechischen Tragödie. Kodak hat offiziell bekanntgegeben, die Produktion des BW400CN ab sofort einzustellen.

„Aufgrund des stetigen Rückgangs in Verkauf und Kundennutzung stellt Kodak Alaris die Herstellung des KODAK PROFESSIONAL BW400CN-Films ein. Das Produkt sollte, je nach Nachfrage, für bis zu weitere sechs Monate auf dem Markt erhältlich sein.“

Beim legendären Kodachrome dauerte es immerhin knapp eineinhalb Jahre, bis die letzte Rolle entwickelt war, mit dem Unterschied, dass auch die gesamte Infrastruktur zur Entwicklung des Films verschwand, da hier wieder ein eigenes ziemlich komplexes chemisches Verfahren zum Tragen kam. Wer also in den nächsten Tagen über eine verschollene Rolle in Opas Seemannskiste stolpern sollte, dem muss ich schweren Herzens mitteilen, dass man mittlerweile nirgends auf der Welt mehr einen Kodachrome entwickeln lassen kann. Dwayne’s Photo in Parsons, Kansas verschrottete 2010 die letzten existierenden Maschinen, nachdem unzählige Menschen noch dorthin gepilgert waren, um ihre letzten Abzüge zu bekommen.

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Ganz so abrupt wird die Geschichte beim BW400CN nicht enden, nachdem das chemische Verfahren ja als Standard für die Farbfilm-Entwicklung erhalten bleibt, aber viele Analog-Enthusiasten beschleicht jetzt natürlich Endzeitstimmung. Was um 2004 mit der digitalen Revolution im Profisektor seinen Anfang genommen hat, scheint nun unaufhaltsam einem Schlussakkord zuzusteuern. Fuji veröffentlichte Anfang des Jahres Zahlen, die belegen, dass das Unternehmen mit dem Verkauf von analogen Fotofilmen etwa 1% des Jahresumsatzes erzielt. Kodak musste letztes Jahr Insolvenz anmelden – Ilford ebenso.

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Dennoch gibt es Hoffnung. Denn abgesehen davon, dass Kodak und Ilford durch Investoren gerettet werden konnten, regt sich im Süden Europas Widerstand. Genauer gesagt in Italien. Als das italienische Kino in den 50er Jahren seinen großen Aufschwung erlebte, wurden von der Firma Ferrania in der nähe von Turin in einer riesigen Fabrik tausende Quadratmeter Film pro Jahr erzeugt, die unter verschiedensten Markennamen vertrieben wurden. Zu ihrer Blütezeit waren die Filme von Ferrania in Europa so verbreitet, wie die Filme von Kodak in den USA. Aber auch hier erfolgte in den 2000er Jahren der Niedergang. 2010 wurde die Fabrik geschlossen und verfällt seitdem. In tadellosem Zustand befinden sich allerdings die Maschinen zur Produktion, und genau diese spielen eine zentrale Rolle in der Renaissance der Firma. Rund um die ehemaligen Mitarbeiter Nicola Baldini und Marco Pagni widmete sich ein kleines Team dem Erhalt der Produktion. Mit einer aufsehenerregenden Kickstarter-Kampagne versuchten sie sich die finanziellen Mittel zu sichern, um die Produktionsmaschinerie, die den Bedarf zur goldenen Zeit des Films stillen konnte, auf die reduzierten Bedürfnisse des neuen Jahrtausends zu adaptieren. Der Zuspruch der internationalen Community war enorm. Die angestrebten 250.000$ wurden bereits weit zwei Wochen vor Ende der Kampagne erreicht. Damit dürfte die kleine Gemeinde Cairo Montenotte bald wieder einer, von nur drei Orten auf der Welt sein, wo Farbfilm produziert wird.

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Diese kleine Erfolgsgeschichte zeigt zwei Dinge. Einerseits, dass der Bedarf und das Interesse an analogem Fotomaterial allem Anschein nach – wenn auch jetzt in kleineren Maßstäben – nachwievor vorhanden sind. Manche sprechen sogar von einer stetigen Zunahme der Filmverkäufe über die letzten paar Jahre. Andererseits, dass die Zukunft in dieser Sparte vielleicht kleinen Firmen wie Ferrania gehören wird, die auf den veränderten Markt reagieren können, als den alten Platzhirschen, die in unrentablen Mustern feststecken.

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Vor hundert Jahren baute Oskar Barnack seine erste Leica und legte damit den Grundstein für die moderne Filmfotografie. Nicola Baldini möchte diesen Weg jetzt auch im digitalen Zeitalter weitergehen. Nichts anderes ist das Credo seiner Firma, als die Filmfotografie die nächsten hundert Jahre am Leben zu erhalten.

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